Das 16. und 17. Jahrhundert gilt für viele als die Blütezeit des Orgelbaus. Die prächtigen Barock-Instrumente eines Arp Schnitgers oder der Gebrüder Silbermann sind vollendete Kunstwerke mit einem unglaublich facettenreichen, funkelnden Klang. Danach kam zunächst nicht mehr viel: Die Klassik, also das späte 18. Jahrhundert, ist für den Orgelbau nicht sonderlich bedeutsam. Erst im 19. Jahrhundert bricht eine neue Epoche an. Es ist die Zeit der Romantik und die Zeit eines neuen Orgeltypus, der optisch und vor allem klanglich nur noch wenig mit den barocken Meisterwerken zu tun hat, denn der romantischen Orgel fehlt das Strahlende ihrer Vorgänger, was aber keinesfalls schlechter sein muss. Die neuen Instrumente folgen eher einem orchestralen Ideal und klingen insgesamt voller, aber auch weicher. Die hohen Register, die bei den Instrumenten des 17. Jahrhunderts für die typische Brillanz sorgen, treten nun zurück, sodass die Stimmen der romantischen Orgel im wahrsten Wortsinn organisch miteinander verschmelzen, wie die Instrumente eines großen Orchesters. Auch die Formen der Pfeifen verändern sich. In der Romantik spielen die sogenannten Streicher eine große Rolle. Streicher sind schmale, eher leise Pfeifen mit einem recht schlanken Ton. In manchen Orgeln werden sie bewusst leicht gegeneinander verstimmt, sodass ein schwebender, fast ätherischer Klang entsteht. Das Fundament der romantischen Instrumente bilden jedoch die sogenannten grundtönigen Pfeifen, die der Orgel ihren kräftig-warmen Charakter geben. Register wie Trompeten, oder Mixturen runden das Tutti schließlich ab. Gustav Josef Heinrich Raßmann ist einer der Vertreter des romantischen Orgelbaus, 1833 geboren, wird er später vermutlich in der Werkstatt seines Vaters Daniel in Möttau bei Weilburg ausgebildet. 1860 übernimmt Gustav den väterlichen Betrieb und führt ihn bis 1896 weiter. Bis zu seinem Tod im Jahr 1906 entwirft Gustav Josef Heinrich Raßmann mehr als 20, meist recht kleine Instrumente mit 8 bis 14 Registern und ein oder zwei Manualen, die noch heute in vielen Dorfkirchen zu sehen und zu hören sind.
In unserer Kirche erklingen 13 Registerstimmen, die auf zwei Manuale verteilt sind. Das untere Manual -das Hauptwerk- hat 9, das obere Nebenwerk 2 Register. Im Pedal klingen zwei weitere Pfeifenarten. Rückgrat des Hauptwerks sind die kräftigen Prinzipal-Stimmen: Principal 8', Oktave 4' und Oktave 2'. Sie haben einen sehr tragfähigen Ton und geben dem Instrument ein solides klangliches Fundament. Die etwas leiseren Flöten Bordun 16´, Gedackt 8' und Gedackt 4' sowie die Gedackt d' amour 8', Flaute dolce 4, im zweiten Manual und der Subbass 16' im Pedal, zeichnen sich durch ihren weichen Charakter aus, der entsprechend dem romantischen Ideal gut mit den anderen Stimmen der Orgel verschmilzt. Die Streicher - Salicional 8' im Hauptwerk und der Violon Bass 8' im Pedal runden die Höhr-Grenzhäuser Raßmann-Orgel klanglich ab. Sie spielen im Vergleich zu den anderen Registern eine eher untergeordnete Rolle, zumindest was die Lautstärke angeht. Ihre Stärken werden in den ruhigen Passagen deutlich, in denen ihr streichender, zarter Klang wunderschön zum Tragen kommt. Die letzten Register, die Mixtur 3-fach (2') und Cornett discant 3 -fach (2 2/3') bilden die Klangkronen des Instruments und verschmelzen im gravitätischen Gesamtklang der Orgel, anstatt vorwitzig herauszustechen.
Tobias Martin